Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche:
„Die Kirche ist kein Opfer, sondern ein Täter“
Zum Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche äußerte sich Francesco Zanardi, Präsident des italienischen Netzwerks von Missbrauchsopfern Rete l’abuso: „Wir sind empört, dieses Gipfeltreffen im Vatikan hätte zu einer Strategie der ‚Null Toleranz‘ gegen Kindesmissbrauch führen sollen. Die Bischöfe haben aber keine konkreten Schritte nach vorn gemacht. Ihre Glaubwürdigkeit ist null. Wir hätten uns mehr vom Papst erwartet: Die Kirche ist kein Opfer, sondern ein Täter“.
„Wir hatten zwar keine großen Hoffnungen auf den Vatikan gesetzt, doch meiner Ansicht nach ist dieses Gipfeltreffen ein Schritt zurück. Wir werden weiterhin die Namen der Kirchenmänner veröffentlichen, die für Missbrauch verantwortlich sind. Wir haben es bereits getan, doch die Liste ist noch länger“, so Zanardi, der selbst als Teenager Opfer von Missbrauch durch einen Priester war.
Zanardi setzt sich für die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission nach dem Vorbild anderer Länder ein. Seine Organisation geht für Italien von mindestens 300 kirchlichen Tätern aus, die innerhalb der vergangenen 15 Jahre sexuelle Übergriffe verübt hätten.
„Pastorales Blabla“
Der Schweizer Jean-Marie Fürbringer, der wie viele andere auf dem Petersplatz das Ende der Konferenz abgewartet hatte, sagte, dem Teufel die Schuld zu geben, sei „pastorales Blabla“. Matthias Katsch vom deutschen Opferverband Eckiger Tisch schrieb im Onlinedienst Twitter, die Rede des Papstes sei „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen“.
Die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD) forderte die katholische Kirche auf, bei der Aufarbeitung der weltweit in zahlreichen Ländern registrierten Missbrauchsskandale umfassend mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
Papst wird eigenem Anspruch nicht gerecht!
Franziskus hatte die viertägige Konferenz am Donnerstag mit einem Ruf nach „konkreten und wirksamen Maßnahmen“ gegen sexuellen Missbrauch eröffnet und als Diskussionsgrundlage einen 21-Punkte-Plan vorgelegt. Er empfahl unter anderem, die Polizei einzuschalten, verpflichtende Verhaltensregeln für Priester aufzustellen und einen Leitfaden für den Umgang mit Verdachtsfällen zu erarbeiten.
In seiner Abschlussrede kündigte der Papst nun aber keine konkreten Maßnahmen an. Er verwies auf Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Schutz von Kindern, an denen sich die katholische Kirche orientieren wolle. Wenn die Kirche auf ihrem „gesetzgeberischen Weg“ diesen Leitlinien folge, müsse sie sich auf Aspekte wie Kinderschutz, die Auswahl und Ausbildung von angehenden Priestern und die Begleitung von Betroffenen konzentrieren, sagte der Papst. Der Vatikan teilte am Sonntag mit, ein „Motu proprio“, also eine Art kirchenrechtliche Entscheidung des Papstes, soll in „unmittelbarer Zukunft“ zum Schutz von Minderjährigen verkündet werden.
Zentrale Forderung von Opfern ignoriert!
Missbrauch verglich der Papst in seiner Rede mit dem heidnischen Ritual, Menschen zu opfern. Es gebe keine ausreichenden Erklärungen für Missbrauch von Kindern, meinte der Papst. Für viele Kritiker gibt es allerdings schon Erklärungen: die Machtstruktur, die klüngelden Männerbünde in der Kirche, die fehlende Einbeziehung von Laien, Frauen und Nichtklerikern bei den Ermittlungen oder die oft institutionalisierte Geheimhaltung, die Vertuschung begünstigt. Wenn überhaupt, streift der Papst diese Themen. Auch spricht er die zentrale Forderung vieler Opfer nicht an, schuldige Priester umgehend aus dem Klerikerstand zu entlassen.
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Doku über Ordensfrauen-Missbrauch
Nach zahlreichen Pädophilieskandalen erschüttert ein weiterer Vorwurf die katholische Kirche: Überall auf der Welt sollen Priester Nonnen schamlos missbraucht haben. Über zwei Jahre stellten die Filmemacher Ermittlungen an. In dem Dokumentarfilm enthüllen nun Opfer eines der bestgehüteten Vergehen der katholischen Kirche. Nach der Enthüllungsserie über die Vergehen pädophiler Priester tritt jetzt ein weiterer Skandal zutage, den die Kirche bislang noch zu vertuschen sucht: Überall in der Welt werden Ordensschwestern von hierarchisch über ihnen stehenden Klerikern sexuell missbraucht – von Priestern und Würdenträgern bis in den Vatikan hinauf. Den Dienerinnen Gottes, die in Folge dieser Vergehen schwanger werden, droht der Verstoß aus ihren Gemeinschaften oder sie werden zur Abtreibung gezwungen. Diese systemimmanenten Verbrechen wurden zumeist ignoriert und sündige Priester vom Vatikan-Gericht freigesprochen. In den letzten 20 Jahren fing die Mauer des Schweigens jedoch an zu bröckeln. Trotz expliziter Berichte, die von Hinweisgebern an den Heiligen Stuhl gerichtet wurden, gaben sich drei Päpste die Ferula in die Hand, ohne der systematischen sexuellen Versklavung von Ordensfrauen einen Riegel vorzuschieben. Die Ermittlungen zu diesem Dokumentarfilm dauerten über zwei Jahre. Zu Wort kommen Opfer, ihre Oberinnen, Priester und engste Mitarbeiter von Papst Franziskus. Ihre Aussagen enthüllen einen der bestverschleierten Skandale der katholischen Kirche. Dokumentarfilm von Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault (F 2017, 90 Min)
Anfang März 2019 sorgte die TV-Doku "Gottes missbrauchte Dienerinnen" für Entsetzen: "Der Skandal ist ein einziger: Der Missbrauch von Macht, Übel, das Böse, also Sünde. "Im Zentrum der Arte-Dokumentation steht der 2006 gestorbene Dominikaner und Gründer der Frauengemeinschaft "Congregation Saint-Jean", Marie-Dominique Philippe. Er hat über mehrere Jahre Ordensfrauen missbraucht.
In der Dokumentation kommt auch die ehemalige deutsche Ordensfrau Doris Wagner zu Wort. Sie gehörte von 2002 bis 2010 der Geistlichen Familie "Das Werk" an. Nach ihren Austitt machte sie öffentlich, dass sie während ihrer Zeit im Orden mehrfach durch einen österreichischen Ordensgeistlichen vergewaltigt wurde. In ihrer 2014 erschienenen Biografie "Nicht mehr ich – die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau" verarbeitete sie ihre Erlebnisse. (mal/KNA)
Doris Wagner: "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche", Verlag Herder 2019, 208 Seiten, ISBN: 978-3-451-38426-4, 20,00 Euro.