Tod eines Hochgrad-Freimaurers!
"Bereitwillig und kühn habe ich seit 28 Jahren den Zwecken unseres Geheimbundes gedient. Als mich vor kurzem Los traf, einen hochgestellten und allgemein geachteten, sehr würdigen und frommen Prälaten ums Leben zu bringen, weigerte ich mich entschieden, diesen Befehl auszuführen, obgleich ich voraussah, daß ich nach unseren strengen Statuten wegen dieser Weigerung dem Tode verfallen war. Das Urteil ist gesprochen: noch in dieser Nacht muss ich sterben."
Am Abend des 22. Dezember 1867", so erzählt der durch seine Missionstätigkeit in Zentralafrika berühmte Jesuitenpater T., "befand ich mich gerade in Paris, als ich zu einem Manne gerufen wurde (…)
Ich befand mich in einem prachtvollen Salon, dessen Parkettboden weiche Teppiche bedeckten. Aus Palisanderholz kunstvoll gearbeitete Sekretäre und Glasschränke, weich gepolsterte Stühle und Divans, goldene Wanduhren zierten das Gemach, und verschiedene Landschaftsgemälde, anscheinend von tüchtigen Meistern, ließen auf den Reichtum der Bewohner dieses Hauses schließen. Ein Bett mit einem Kranken suchten meine Augen vergebens. Wie gebannt hafteten meine Füße noch an derselben Stelle, wo man mir die Binde von den Augen genommen hatte. Ich wusste nicht, was ich denken oder sagen sollte. Da erhebt sich aus einem altertümlichen Lehnstuhl, der im Hintergrunde des Saales stand, ein vornehmer Herr, blühend und gesund, noch in voller Manneskraft, obgleich die verstohlen unter den schwarzen Haaren hervorschimmernden grauen den Übergang in das Greisenalter anzudeuten schienen. Freundlich heißt mich der Herr, den ich nie gesehen hatte, willkommen und bittet mich, auf dem nahe gerückten Stuhl Platz zu nehmen. Ich bedeutete ihm: "Man hat mich zu einem Sterbenden gerufen, aber ich sehe, daß hier ein Irrtum oder eine Mystifikation (Fopperei, Täuschung, Hintergehung) obwaltet; denn Sie, mein Herr, sind doch ohne Zweifel recht gesund, wenn mich der Augenschein nicht täuscht." "Allerdings, hochwürdiger Herr, lässt meine körperliche Gesundheit nichts zu wünschen übrig", erwiderte der Herr mit, schmerzlichem Lächeln, "dessen ungeachtet muss ich in einer Stunde sterben, und ich bitte Sie dringend, mich auf einen christlichen Tod vorzubereiten." "Wie soll ich das verstehen?" fragte ich. "Sie sind ganz gesund und kräftig, wie Sie selbst bestätigen, und werden doch in einer Stunde sterben?“ Der unbekannte Herr antwortete ruhig: "Um es Eurer Hochwürden kurz zu sagen, bemerke ich Ihnen, daß ich Mitglied eines Geheimbundes und zu einem der höchsten Grade befördert worden bin, weil man meinen Einfluss im Staat und in der Gesellschaft, sowie meine Entschiedenheit in Ausführung schwieriger Unternehmungen zu schätzen wusste meine Kräfte und mein Ansehen gut verwerten konnte. Bereitwillig und kühn habe ich seit 28 Jahren den Zwecken unseres Geheimbundes gedient. Als mich vor kurzem Los traf, einen hochgestellten und allgemein geachteten, sehr würdigen und frommen Prälaten ums Leben zu bringen, weigerte ich mich entschieden, diesen Befehl auszuführen, obgleich ich voraussah, daß ich nach unseren strengen Statuten wegen dieser Weigerung dem Tode verfallen war. Das Urteil ist gesprochen: noch in dieser Nacht muss ich sterben. Bei meiner Aufnahme in den Geheimbund sollte ich das eidesstattliche Versprechen ablegen, weder im Leben, noch im Sterben die geistliche Hilfe eines Priesters in Anspruch zu nehmen; jedoch habe ich diesen Eid zu leisten mich standhaft geweigert, und weil man mich sonst vorteilhaft gebrauchen konnte, stand man von dieser Forderung ab und kam jetzt meinem Verlangen nach einem Priester nach. Um jeden Verdacht zu vermeiden, sind Sie, als ein mit den hiesigen Verhältnissen weniger vertrauter Seelsorger, herbeigerufen." Neugierig fragte ich: "Welche Todesart werden Sie denn erleiden?" Der Geheimbündler gab zur Antwort: "Die Sache ist ganz einfach: Es wird eine große, eiserne Gabel so durch den unteren Teil des Halses, nahe am Schlüsselbein, gestoßen, daß beide Zinken die Hauptvenen durchstechen. Der Tod erfolgt sofort, ohne daß eine klaffende Wunde zurückbleibt. Ich selbst habe mehr als 50 Missliebige oder Wortbrüchige auf diese Weise aus der Welt geschafft oder sterben sehen.
Eine Appellation (Berufung) von diesem Urteil gibt es nicht, und wollte jemand entfliehen, es würde nicht gelingen; denn die geheimen Fäden unserer Gesellschaft spannen sich über die ganze Welt aus. Nun aber, hochwürdiger Herr, bitte ich Sie, mir eine Lebensbeichte abzunehmen. Sie wird lange dauern, weil mein Gewissen mit Blut, Sakrilegien und vielen anderen Verbrechen befleckt ist. Nur noch eine Stunde habe ich Zeit" fügte er hinzu, indem er seine mit Brillanten besetzte goldene Taschenuhr hervorzog. "Säumen wir nicht!" Der dem Tod Geweihte kniete neben meinem Stuhl nieder. Eine Stunde mochte verflossen sein, als der Schüssel sich klirrend im Schloss der Zimmertür drehte und mehrere Männer mit festem Schritt eintraten, um den Verfemten abzuführen. Dieser erbat sich noch eine halbe Stunde, weil er seine Beichte noch nicht beendigt habe. Man verweigerte es ihm, Indem man auf die Uhr wies, welche gerade ein Uhr nachts zeigte. Einer der Männer fasste ihn schon beim Arm und wollte ihn gewaltsam fortziehen. Der Verurteilte berief sich auf das Versprechen seiner Genossen, daß sie ihm in der Ordnung seines Seelenheiles freie Hand lassen wollten, und ich vereinigte meine flehentlichen Bitten mit den seinigen. Die Schrecklichen gestatteten ihm noch 20 Minuten und zogen sich zurück. Unterdessen brachte der Sünder sein Bekenntnis zu Ende. In tiefster Zerknirschung und lebhaftester Freude, sich mit Gott versöhnt zu haben, empfing er die priesterliche Lossprechung. Dankbar küsste er meine Hand, auf welche eine verstohlene Träne herabfiel. Zu meinem innigsten Bedauern konnte ich ihm die heilige Kommunion nicht reichen. Indes überreichte ich dem Verurteilten in einer silbernen Kapsel eine Reliquie vom Heiligen Kreuz, welche ich als ein kostbares Gut bisher immer bei mir getragen hatte und mahnte ihn, sein volles Vertrauen auf denjenigen zu setzen, der die Sünden der ganzen Welt am Holz der Schmach sühnte und noch sterbend dem reuigen Sünder verzieh. Mit Innigkeit drückte er das Kreuzehen an seine Lippen und verbarg es dann auf der Brust unter seinen Kleidern. Darauf fragte ich ihn, ob er sonst noch etwas zu ordnen oder mir aufzutragen habe. Er bat mich, seine innigste geliebte und tugendhafte Gemahlin und seine zwei frommen Töchter, von denen eine den Schleier genommen hatte und in dem Kloster de SacreCoeur viel für ihren verirrten Vater betete, freundlichst zu grüßen und ihnen die tröstliche Versicherung zu geben, daß er mit Gott versöhnt sein Leben beschlossen habe.
"Aber", wandte ich ein, "Ihre Angehörigen werden viel leicht die Richtigkeit meiner Aussagen bezweifeln, wenn ich denselben nicht einen untrüglichen Beweis meiner Unterredung mit Ihnen geben kann. Haben Sie deshalb die Güte einige Zeilen in meine Brieftasche zu schreiben, damit ich mich durch Ihre Handschrift legitimieren kann!"
Er nahm mein Notizbuch und schrieb mit Bleistift auf die letzte Seite "Teure Chlothilde! Im Begriff, von dieser Welt Abschied nehmen, bitte ich Dich um Verzeihung wegen des großen Kummers, welchen Dir mein unnatürlicher Tod bereiten wird! Grüß meine lieben, frommen Kinder und tröste Dich und sie mit der Versicherung, daß ich mit Gott versöhnt sterbe und euch dort oben wieder zu sehen hoffe. Betet fleißig für meine arme Seele! Dein Feodor." Mit einer verbindlichen Verbeugung gab mir der Herr, dessen Stand und Namen ich jetzt kannte, meine Brieftasche zurück und bat mich, ihm noch mehr Trost und Mut einzureden. Kaum hatte ich einige Worte gesprochen, da öffnete sich die Tür, vier Männer schreiten auf den Verfemten zu, um ihn abzuführen. Ich aber stellte mich vor ihn hin, wehre mit meinen Händen die Eindringenden ab, bitte und beschwöre sie, das Leben eines innigst geliebten Gatten und hochverehrten Vaters zu schonen, ihre Hände nicht mit Blut zu beflecken. Sie höhnen mich mit lachendem Munde und stoßen mich mit ihren eisenfesten Armen zurück, daß ich taumelte. Ich biete mein Leben für den Verurteilten an, falle vor ihnen auf die Knie und flehe so in brünstig, daß ich glaubte, Felsen würden sich erweicht haben. Ein Fußtritt war die Antwort. Schon hatte man das unglückliche Opfer gefesselt und führte es zur Schlachtbank. Im Weggehen rief mir der Ärmste noch die schmerzlichen Worte zu: "Leben Sie wohl, ehrwürdiger Vater! Gott lohnt es Ihnen, was Sie für mich getan! Gedenken Sie meiner in Ihren heiligen Opfern und Gebeten!" Aufs tiefste erschüttert, schaute ich ihm starr nach, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Die Schritte verhallten dumpf in den Gängen. Auf meinen Knien liegend, mein Angesicht mit bei den Händen bedeckend, betete ich mit zitternden Lippen und heißer Innbrunst zu Gott um Gnade und Barmherzigkeit für den Unglücklichen, welcher bei den Menschen keine Barmherzigkeit mehr fand. Was ich in jener Stunde gelitten habe, weiß nur der Allwissende. (…)
Am heiligen Christfest, dem zweiten Tag nach jenem Ereignis, grübelte ich wieder über die seltsame Geschichte nach. Ohne es zu wollen, fällt mein Blick auf eine Pariser Zeitung, worin verschiedene Todesfälle angezeigt waren, unter anderen auch solche von Personen, welche unbekannt und in der Morgue, einem Gebäude zur Aufbewahrung aufgefundener Leichen, aufgestellt waren. Sogleich springe ich auf und eile zur Morgue. Dort finde ich sechs Leichen, aber keine, die dem Unglücklichen, den ich suchte, ähnlich ist. Enttäuscht und missmutig wollte ich den Saal wieder verlassen. Noch einmal lasse ich meine Augen umherschweifen. Da bemerkte ich an der Wand mir bekannte Kleidungsstücke und an einem Bande hängt meine kostbare Reliquie vom Heiligen Kreuz. Noch schärfer als vorher mustere ich die Leiche, welche neben jenen Kleidungsstücken lag. Wirklich, es war die Leiche des Verfemten, freilich durch den Tod sehr entstellt, aber die charakteristischen Züge waren noch erkennbar. Um mich vollständig zu überzeugen, schlug ich die Decke ein wenig zurück und legte Hals und Schulter bloß. Richtig, am Hals zeigten sich zwei Löcher, vom etwas weiter als im Nacken.
Beide Halsadern waren durchstochen. Der Aufseher kam näher und fragte mich neugierig: "Suchen Sie unter den Toten einen Bekannten?" "Ich habe Medizin studiert, „ entgegnete ich ausweichend, "und finde mein Vergnügen daran, die Todesart der Verunglückten kennenzulernen." Ich hatte nicht gelogen; denn wirklich hatte ich Arzneiwissenschaft studiert, und sie kommt mir in den Missionen gut zustatten. "Dieser Herr“, bemerkte der Aufseher, "wurde aus der Seine gezogen und muss darin ertrunken sein." Ich schwieg, um nicht meine bessere Überzeugung zu verraten, und ließ jenen Menschen bei seiner Meinung. Mehrmals kam ich in Versuchung, die wertvolle Reliquie wieder an mich zu nehmen, allein die Angst, mich zu verraten, und anderseits die Vermutung, man werde doch gewiss nicht das Heilige entweihen, hielten mich zurück, das teure Kleinod wieder zu mir zu stecken. Wie ich versprochen hatte, las ich auch am nächsten Morgen die heilige Messe in jenem Kloster. Danach kam an der Pforte eine der Nonnen zu mir und bat mich mit unterdrücktem Schluchzen und hervorbrechenden Tränen: "Seien Sie gütigst im heiligen Opfer und in Ihren Gebeten meines unglücklichen Vaters eingedenk!" "Darf ich fragen, welches Schicksal Ihren Vater getroffen hat?" "Ach", erwiderte sie "ich habe meinen teuren Vater verloren, zweimal verloren, für Zeit und Ewigkeit! Hätte ihn der Tod im Stand der Gnade ereilt, ich würde den Verlust verschmerzen können, aber nach einem gottentfremdeten Leben so plötzlich zu sterben o es ist entsetzlich, schrecklich! Ach, könnte ich die Seele meines sonst so guten Vaters retten, ich wollte gern bis zum jüngsten Tag im Jenseits alle Qualen erdulden. Alle Krankheiten, Gebrechen, Leiden und Drangsale dieser Erde, alle Höllenqualen wollte ich sogleich auf nehmen, wenn ich dadurch seine Seele retten könnte!" ,,Trösten Sie sich, Schwester! Der sterbende Erlöser hat sich des Schächers in letzter Stunde erbarmt. Ihre inbrünstigen Bitten werden auch Ihrem Vater zugute gekommen." "Daran muss ich zweifeln", bemerkte die Nonne kopfschüttelnd; "denn mein Vater gehörte einem Geheimbund an, dessen Mitglieder im Sterben jeden geistlichen Trost abweisen." „Und wenn Ihr Vater dennoch vor seinem Tod die Tröstungen der Religion empfangen hätte!?" warf ich ein. Ungläubig und hoffnungslos blickte mich die Nonne an. Da zog ich meine Brieftasche hervor und hielt ihr die letzte Seite vor. Ihre Augen wurden verklärt, sie verschlang die Worte, presste sie innig an ihre Lippen, und auf die Knie niedersinkend, streckte sie ihre Arme aus, und mit ihren tränenvollen Augen zum Himmel blickend, rief sie mit lauter, freudig erregter Stimme: "Gott sei ewig Dank, mein Vater ist gerettet!"
(Frbg. Kirchbl. Nr. 16 und 17, 1873)