Eine göttliche Prüfung
Nach den Weihnachtsfeiertagen waren meine Meditationen einige Zeit segensreich. Aber nach etwa einem Monat begannen subtile Verirrungen in meinen Geist einzudringen. Zuerst kam der Stolz auf das Gefühl, dass diese Freude mich von den anderen trennte. Dies, wie ich glaube, nicht in dem Sinn, dass ich mir selbst besser vorgekommen wäre als sie, sondern in dem ebenso falschen Sinn, dass ich mir erhaben über äußere Interessen vorkam. Dieser Status des Bewusstseins gab sich als Weisheit aus, war aber tatsächlich aus meiner spirituellen Unerfahrenheit entstanden. Der devotee sollte nämlich lernen, Gott gleichermaßen außer- und innerhalb zu sehen, ersteres besonders in nützlichen Aktivitäten und schönen Dingen. Die Welt, in der wir leben, ist schließlich Seine Welt. Sie zurückzuweisen, bedeutet in gewissem Sinn, Ihn zurückzuweisen. Solcher Zurückweisung folgt Stolz, und mit dem Stolz kommt die Versuchung, persönliches Verdienst für alle möglichen Inspirationen, die man fühlt, zu beanspruchen.
Aus diesem Stolz entstand eine zunehmende Verkrampfung in meinen spirituellen Bemühungen. Als ich schließlich erkannte, dass ich mehr der Demut bedurfte, krallte ich mich ebenso an die innere Führung, wie ich mich zuvor an die Freude geklammert hatte.
Zu dieser Zeit etwa fuhr Meister nach Twenty-Nine-Palms, um seinen Kommentar zur Bhagavad Gita zu vollenden. Er nahm mich mit. Wochen in seiner Gesellschaft, so hoffte ich, würden dem inneren Durcheinander Einhalt gebieten.
Es war wundervoll, ihm zu lauschen, während er an seinen Schriften arbeitete. Er pflegte einfach zum geistigen Auge aufzuschauen und dann fast ohne Pause zu sprechen, während sein Sekretär Mühe hatte, an der Schreibmaschine mitzuhalten.
Ich durfte mehrere Tage in Meisters Haus verbringen. Dann jedoch schickte er mich in das Retreat der Mönche und instruierte mich, die alten SRF-Magazine durchzugehen, seine Gita-Kommentare auszuschneiden, und sie zu „redigieren".
Redigieren? Ich wusste, dass diese spezielle Aufgabe bereits einem anderen, älteren Jünger übertragen worden war.
Ich war mit der hohen Erwartung in die Wüste gefahren, jeden Tag mit ihm zu verbringen. Es war besonders betrüblich, mich nun völlig allein zu finden. Ungewohnt, wie mir das Alleinsein war, fühlte ich mich plötzlich völlig verlassen. Starke Launenhaftigkeit begann mich zu überfallen.
Ich fühlte mich, als ob in mir zwei Kräfte einander gegenüberstünden. Tapfer versuchte ich, durch tägliches stundenlanges Meditieren der guten Seite Stärke zu verleihen. Gerade das Bemühen um die Meditation aber vertiefte mein Gefühl der Hoffnungslosigkeit noch.
Meister sagte einmal vor Publikum: „Ich war gewöhnt zu glauben, Satan wäre nur eine menschliche Erfindung, aber jetzt weiß ich, dass Satan eine Realität ist. Er ist eine universelle, bewusste Kraft, deren einziges Bestreben es ist, alle Wesen an das Rad der Verirrung gebunden zu halten." Ich spürte jetzt, dass Gott und Teufel mich in mir kämpfend niederprügelten! Nicht, dass ich den leisesten Wunsch verspürte, zu einem weltlichen Leben zurückzukehren. Dieses Verlangen hat, durch Gottes Gnade, mein Herz keinen Augenblick lang erfasst, seitdem ich zum ersten Mal meinen Fuß auf den geistigen Pfad setzte. Das Problem lag vielmehr in meinem unsagbaren Schrecken vor dem Eintritt in die tiefe Meditation, in der allein wahrer Friede zu finden ist, jener Friede, nachdem ich umgekehrt so sehr dürstete.
Das ärgste an meiner Heimsuchung aber war, dass ich, solange sie währte, nicht einmal Meister mit meinem gewohnten Glauben anrufen konnte. Plötzlich fand ich mich in heftige Zweifel gestürzt. Nicht, dass ich an seiner Gutheu gezweifelt hätte oder an seiner geistigen Größe, auch nicht an meiner Verbundenheit mit ihm als meinem guru. Aber plötzlich drängte sich in mir der unaufhörliche Gedanke auf: „Es fehlt ihm an Weisheit." Es war eine Idee, über die ich keine Kontrolle hatte. Die Frage war nicht, ob ich diese Zweifel förderte. Ich hätte alles getan, um sie loszuwerden; sie trieben mich in einen ärmlichen Zustand.
Diese meine Zweifel illustrieren mehr oder weniger zutreffend das Problem jedes devotees. Bevor er göttliche Freiheit erlangen kann, muss er jede behindernde Tendenz ausjäten, die er aus der Vergangenheit mitgeschleppt hat. Bloße intellektuelle Bekräftigung des Sieges genügt nicht: Er muss seinen Täuschungen in offenem Mann-gegen-Mann-Kampf ins Auge blicken. Jeder Suchende hat sein eigenes, selbstgeschaffenes Blendwerk zu überwinden. Er muss es überwinden, wenn er auf dem geistigen Weg weiterkommen will.
„Du zweifelst jetzt", erklärte mir Meister eines Tages, „weil du in der Vergangenheit gezweifelt hast."
Während dieser inneren Prüfung geschah es niemals, dass Meister meinem inneren Weiterkommen gegenüber gleichgültig war. Er versuchte vielmehr, mir auf verschiedene Art und Weise wieder Sicherheit zu verschaffen. Aber es lag in seiner Art, unseren freien Willen niemals bis zu dem Grad zu beeinflussen, der bedeutet hätte, unsere wichtigen Schlachten für uns zu schlagen. Das hätte uns um die Chance gebracht, unsere eigene Stärke zu entwickeln.
Er war sehr besorgt, mir Tröstung zu verschaffen, und ich war sehr berührt davon. Für mich jedoch war das entscheidende Ergebnis dieses Tests, jetzt mehr als jemals zuvor gewusst zu haben, dass ich zu ihm gehörte und all das äußerliche Aufwärts und Abwärts des geistigen Weges so lange nichts zu bedeuten hatte, als ich seine Liebe in meinem Herzen fühlte.
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Aus: "The Path" von Donald Walters (Swami Kriyananda), Jünger Yoganandas