Vergebung der Sünden??
Daraus lassen sich Taufe (Bindung an die Kirche), Eheschließung (Bindung der Partner), Ehescheidung (Lösung der Partnerschaft) und Exkommunikation (Ausschluß aus der Kirche) ableiten, für die der angehende Laienprediger Simon, Sohn des Jona und frisch beförderte Petrus ab sofort zuständig sein soll. Von der Vergebung der Sünden ist nicht die Rede, das einträgliche Geschäft der Beichte und der noch einträglichere Ablaßhandel wird nirgendwo erwähnt.
Das Rezept gegen die Sünde verrät Jesus in Johannes 5,14 und noch einmal in Johannes 8,11: Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr! Davon abgesehen ist Johannes, Kapitel 8, noch aus anderen Gründen lesenswert, ganz besonders für neukatholische Theologen.
Dieses Konzept der Vergebung der Sünden wird sogar in der Kindererziehung eingesetzt. Landet der Fußball in der Fensterscheibe oder die Lieblingsvase auf dem Boden, dann ist das nun einmal geschehen und nicht wieder ungeschehen zu machen. Die moderne Formulierung lautet: Paß in Zukunft besser auf!
Ganz so simpel ist die Vergebung der Sünden übrigens nicht. Wenn ich Gustav totschlage, ist es ganz leicht, das in Zukunft nicht mehr zu tun, da Gustav ziemlich sicher tot bleiben wird, ich also gar keine Gelegenheit habe, ihn noch einmal totzuschlagen. Diese Variante hat Jesus sicher nicht gemeint.
Selbst als gelernter Atheist sollten Sie die Bibel in dieser Beziehung nicht allein deshalb ablehnen, weil Sie nicht daran glauben. Höchstens als psychopathischer Atheist, der davon ausgeht, daß seine Taten nie auf ihn zurückfallen werden, er also ohne Ende sündigen, intrigieren und meucheln kann, dürfen Sie alles ignorieren. Dann sollten Sie in eine Partei eintreten, eine kriminelle Vereinigung oder einen zentralen Empörungsrat, da werden immer gewissenlose Personen fürs Grobe gesucht.
Für alle anderen Menschen zeigt dieser Abschnitt der Bibel die drei Schritte zur Vergebung der Sünden auf:
1. Die Einsicht. Solange ich mein Tun nicht als Sünde begreife, kann ich mich nicht abwenden und mich eines Besseren besinnen. Wobei umstritten ist, ob eine Handlung ohne Einsicht über deren Sündhaftigkeit überhaupt eine Sünde sein kann. Der Kannibale, der den erschlagenen Feind verzehrt, um dessen Kraft und Weisheit zu erlangen, tut nach seiner Ansicht das Richtige, er erweist dem Toten damit sogar die Ehre, ihn in sich aufzunehmen. Im Alten Testament steht für den Verlust der Unschuld der Baum der Erkenntnis, denn erst mit der Einsicht in Gut und Böse, in richtig und falsch, konnte die Menschheit in die Sünde fallen.
2. Die Reue. Diese muß nicht theatralisch ausfallen, im Gegenteil, wer laut aufschreit, sich in Bußgewänder hüllt und Asche auf sein Haupt streut, will ganz sicher damit nur das Publikum beeindrucken. Echte Reue ist ein stilles, in sich gekehrtes Bedauern, der Wunsch, die Untat, die Sünde ungeschehen zu machen. Tätige Reue ist ganz sicher möglich, doch sie ist persönlich. Tätige Reue ist ganz sicher nicht, als Politiker Steuergelder an undurchsichtige Organisationen weiterzuleiten, um später dafür einen Orden zu erhalten. Öffentliche Bußübungen und Kniefälle sind bloße Inszenierungen, keine wirkliche Reue und schon gar kein Eingeständnis der EIGENEN Schuld.
3. Sündige nicht mehr. Das ist der schwierigste Teil der Vereinbarung. Wer das Rauchen oder den Alkohol aufgegeben hat, der kennt die Versuchung, die von jeder Zigarette, von jeder Flasche ausgeht. Betrachten wir Diebstahl, Korruption oder Gewalt, dann drängen sich die Entschuldigungen auf: Nur dieses eine Mal noch, es trifft den Richtigen, ich gebe es den Armen, der hat es verdient, es ist Notwehr. Nach Einsicht und Reue die bewußte Abstinenz, der tätige Verzicht darauf, jemals wieder das Falsche, da Sündige zu tun - das ist in vielen Fällen alles andere als leicht.
Es gibt natürlich erprobte Rezepte. Gegen den Alkohol hilft es, zum Islam überzutreten und nach Mekka zu übersiedeln, da dürften Sie vor Schnaps und vergleichbaren Versuchungen sicher sein. Einsiedler und Säulenheilige haben sich von der Welt abgekehrt, um deren Versuchungen zu entgehen. Der schwierigste Weg ist es, weiterleben wie bisher, nur eben ohne das, was als Sünde erkannt wurde. Die Kraft dazu müssen Sie aus Ihrem Inneren beziehen, da das Äußere nur zu gerne die Versuchung bietet.
Fernöstliche Religionen haben ein erweitertes Konzept der Sünde und der Bestrafung dafür: das Karma. Die Sünden eines früheren Lebens fallen auf Sie zurück, Sie werden bestraft oder belohnt für Taten, die ein Mensch begangen hat, den Sie gar nicht kennen, der Sie aber einst gewesen sind. Sie haben die Möglichkeit, sich gutes Karma für die Zukunft zu schaffen, und Sie haben die Fähigkeit, altes, böses Karma aufzulösen. Das Konzept der karmischen Verstrickung und der Wiedergeburten wird dort bildlich ausgemalt, in der extremen Form können Sie als Bakterie oder als Gott wiedergeboren werden, wobei dann allerdings nicht einmal die Götter unsterblich sind.
Das Konzept der Wiedergeburt verleiht dem Leben die Gerechtigkeit, die wir bei der Betrachtung eines einzigen Lebens oft vermissen. Der eine ist ein Glückskind, dem alles zufällt, ohne besondere Anstrengung, der andere hat es schwer, er muß leiden und arbeiten, ohne wirklich voranzukommen. Warum soll ein gerechter Gott seine Gaben derart ungleich verteilt haben? Was hat das Glückskind getan, um als Auserwählter Gottes durchs Leben zu schweben, was der Pechvogel verbrochen, um mit aller Mühsal beladen am Boden zu kriechen? Ist es nur ein einziges Leben, dann ist Gott, das Universum oder der Zufall ein Sadist, da die Mehrzahl der Menschen eben nicht auf der Sonnenseite leben.
Das Karma gibt es, doch in einer viel einfacheren Form, als viele Religionen es ausmalen. Sie sterben, und gelangen so, wie Sie auf Erden gelebt haben, ins Jenseits. Ein Jenseits, das Ihnen zu 100% entspricht, das für Andere Himmel oder Hölle sein mag, für Sie jedoch ganz einfach jenen geistigen Qualitäten entspricht, die Sie auf sich geladen haben. Ein Jenseits für Bankberater, ein Jenseits für Gebrauchtwagenhändler, ein Jenseits für Sozialpädagogen - die Eigenschaften, die Sie auf der Erde gehabt haben, nehmen Sie ins Jenseits mit. Und Sie werden in einer ähnlichen Umgebung wiedergeboren, die Ihren Eigenschaften entspricht. Genau das ist Karma.
Ein kleines Kind, das seinen Hamster oder seinen Wellensittich quält, weil ihm die Einsicht für die Bedürfnisse des Tierchens fehlt, tut Böses in aller Unschuld. Erst wenn es die Einsicht erlangt, wird aus der objektiv bösen Tat eine subjektive Sünde. Das Karma führt uns in Situationen, in denen wir Einsicht in unser Tun erlangen können, wo Einsicht zur Reue führt und Reue dazu, daß wir nicht mehr sündigen. Damit ist das Karma aufgelöst. Verweigern wir uns aber aus Trägheit dieser Einsicht, sperren wir sie aus, bleibt uns das Karma erhalten.
Erinnern Sie sich an "urbi et orbi"? Da war von "zeitlichen" Sünden die Rede, für die Ablaß gewährt wird. Die "ewigen", zeitlich unbegrenzten Sünden werden so einfach nicht vergeben. Eine ewige Sünde ist eine Sünde, die wir karmisch mit uns tragen, von Leben zu Leben, bei der wir die Einsicht verweigern, daß wir überhaupt gesündigt haben. Dafür erhalten wir keine Strafe Gottes, wir bestrafen uns nur selbst, weil wir dort verharren, in dieser Sünde. Dabei haben wir fortwährend, in jedem Leben die Gelegenheit zu Einsicht, Reue und Umkehr, die Sünde künftig zu unterlassen und ihr damit ledig zu werden.
Läßt sich objektiv beantworten, was Sünde ist? Ja, es ist ein Verstoß gegen die geistigen Gesetze, die zu erkennen niemand studieren muß, denn sie sind ganz einfach.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Handle so an Anderen, wie du möchtest, daß Andere an dir handeln sollen.
Was Du nicht willst, daß man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu!
Alle drei Sätze besagen das Gleiche, Kants kategorischer Imperativ drückt es ebenfalls aus, in einer noch umständlicheren Formulierung. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden, oder die Freiheit des Einen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt - wie immer wir es formulieren, es wird zu jenem einen Gesetz, das Jesus heute vielleicht so formulieren würde: Gestehe deinem Mitmenschen die gleichen Rechte zu, die Du für Dich beanspruchst.
Wir brauchen keine zehn Gebote, kein Strafgesetzbuch, keinen Katechismus, keinen Talmud, keine internationalen Vereinbarungen, denn alles ist in diesem universellen Gesetz bereits enthalten. Jeder Verstoß dagegen ist Sünde, ganz einfach. Doch wir müssen lernen, wo wir sündigen, Einsicht in unsere Taten erlangen, bereuen und das Böse künftig unterlassen.
Es gibt ein weiteres Gesetz, das auf den ersten Blick nicht enthalten ist: Das Gesetz der Vergebung, das "Liebe deine Feinde". Aber ist das wirklich nicht enthalten? Wenn ich meinen Nächsten wie mich selbst liebe, dann vergebe ich ihm auch, wie ich mir selbst vergebe. Wenn ich will, daß die Anderen mir vergeben, muß ich genauso bereit sein, ihnen zu vergeben. Und wenn ich nicht will, daß die Anderen mir für immer meine Verfehlungen vorhalten, darf auch ich sie nicht für alle Zeiten verdammen.
Ein einziger Satz, sechs Worte im Neuen Testament, vierzehn Worte im Kinderreim, enthält alle Gesetze aller Völker und Kulturen dieser Welt. Können Sie sich diesen einen Satz merken? Nun, dann gehen Sie hin und sündigen nicht mehr!
© Michael Winkler - http://www.michaelwinkler.de/