Aufeinander einschwingen
Meister sollte eines Sonntag-Morgens in der Hollywood-Kirche sprechen, als mich Sue und Bud Clewell, meine Verwandten aus Westwood Village besuchen kamen. Nach dem Gottesdienst lud uns Meister ein, mit ihm gemeinsam das Mittagessen einzunehmen.
Eine kleine Gruppe von uns aß auf der Bühne hinter den geschlossenen Vorhängen. An diesem Tag hatte ich erstmals Gelegenheit, Meister in der Rolle des Gastgebers zu beobachten. Es war ein charmantes Erlebnis. Sein totaler Mangel an Affektiertheit, sein köstlicher Sinn für Humor, vornehme Höflichkeit und sein warmes, freundliches Lachen, das jeden in seine Freude einbezog, hätte jede Zuhörerschaft begeistert.
Unter den Anwesenden waren Dr. und Mrs. Lewis. Eine Dame fragte: "Meister, Dr. Lewis war Euer erster Jünger in diesem Land, nicht wahr?"
Meisters Antwort war unerwartet reserviert. "So sagen sie", entgegnete er ruhig. Sein Ton markierte — mehr noch als seine Worte — einen solchen Kontrast zu der Leutseligkeit, die er vorher ausgestrahlt hatte, dass sich die Dame irgendwie betroffen fühlte. Freilich bemerkte er ihre Überraschung und erklärte etwas freundlicher: "Ich spreche von Menschen nie als meine Jünger. Gott ist der Guru: Sie sind Seine Jünger."
Für Meister war die Jüngerschaft ein zu geheiligtes Thema, um es flüchtig abzuhandeln, selbst in der alltäglichen Konversation.
Sue und Bud fanden Meister charmant. "Aber", forderte mich Sue später ein wenig heraus, "warum nennst du ihn Meister? Das ist ein freies Land! Jedenfalls hat niemand das Recht, Meister eines anderen menschlichen Wesens zu sein!"
„Sue, es ist nicht unsere Freiheit, die wir ihm geben. Es ist unsere Gebundenheit! Ich habe nie jemanden gekannt, der die Freiheit anderer auf solche Weise respektiert hat. Wir nennen ihn Meister im Sinne eines Lehrers. Er ist ein wahrer Meister in den Tätigkeiten, die wir selbst zu meistern trachten."
Sues Abneigung gegenüber unserer liebevollen Anrede für unseren guru war keineswegs ungewöhnlich. Vielleicht würden die Leute schreiben: „Ah, hier ist in der Tat ein Meister", wäre er daran zu erkennen, auf der Bühne des Lebens wie ein Nietzscheanischer Zarathustra zu erscheinen und großartige Verkündigungen über geheimnisvolle Dinge zu machen, an die niemand jemals zuvor gedacht hatte. Aber Meister leben für gewöhnlich mehr oder weniger prosaisch. Sie werden in Krippen geboren. Sie lehren vertraute Wahrheiten in einfacher Weise. Man könnte fast sagen, sie tragen ihre Gewöhnlichkeit zur Schau. Die menschliche Natur nimmt Größe in einfachen Leuten nicht gern zur Kenntnis. Gerade in ihrer vollkommenen Menschlichkeit jedoch offenbaren die Meister ihre Größe am deutlichsten.
Die Leute erkennen kaum, dass die Erhabenheit von Gottes Wegen, wie sie durch das Leben Seiner erweckten Kinder ausgedrückt wird, in einer transzendenten Sicht mundaner Realitäten liegt und nicht der starren Verneinung derselben. Vom Gedanken: „Nichts ist göttlich" muss der Mensch zur Einsicht wachsen: „Alles ist göttlich."
Unsere „Gebundenheit" an Meister war eine „Gebundenheit" aus Liebe allein. Er schätzte die Helligkeit dieser Beziehung weit mehr als wir und behandelte sie mit tiefster Würde und Respekt. Wo aber die Liebe auf Seiten des Jüngers fehlte, brach das Band, oder es war niemals entstanden. Dann hieß es selbst von Jüngern, sie hätten aus ihrer Sicht verloren, was es bedeutete, ihren guru „Meister" zu nennen.
Rar ist leider der Jünger, der keinen aus Egoismus geborenen Widerstand spürt und seinen Guru daher bedingungslos annehmen kann. „Ich möchte meine eigene Kreativität ausdrücken!" ist ein oft gedachter Einwurf, der weniger oft ausgedrückt wird. Närrischer devotee, siehst du nicht, dass der Mensch nichts auszudrücken hat, das er wirklich sein eigen nennen kann? Dass seine Ideen, seine Ansichten, seine sogenannten Inspirationen alle die Ströme des einen Bewusstseins reflektieren, das jedermann gleich zugänglich ist? Nur durch Einschwingung auf Gottes Willen können wir uns wahrhaft selbst ausdrücken.
Für Jünger ist der sicherste Weg, sich kreativ auszudrücken, die Einschwingung auf die Wünsche ihres gurus. Seine ganze Aufgabe besteht darin, ihren Weg der Selbstentfaltung zu beschleunigen.
Es gab auch Zeiten, zu denen ich selbst fühlte, Meister hätte sich in irgend einer Sache geirrt oder irgendeinen Punkt nicht entsprechend erfasst. Ja, es gab sogar - wie sie in einem späteren Kapitel lesen werden - eine Zeit, in welcher mein Hinterfragen den Charakter ernsterer Zweifel annahm. Aber nachher fand ich immer heraus, dass er der war, der recht gehabt hatte. Seine Aktionen, so ungewöhnlich sie manchmal waren, basierten auf sicherer Intuition, die Unglaublicherweise immer auf das Beste hinauslief.
Hätten wir den subtilen Nuancen seiner Leitung feinsinniger gelauscht, ich glaube fast, wir hätten die Welt ändern können. Gewiss hätten wir uns alle selbst radikal transformiert.
Meister hatte, widerstrebend wohl, seinen Traum, persönlich eine Weltbruderschafts-Kolonie in Encinitas zu gründen, fallen gelassen. Er beschloss daraufhin, die bestehenden Gemeinschaften nach strikteren monastischen Richtlinien zu organisieren.
Es war Meisters Art, die Jünger nach Möglichkeit ihre eigenen Phantasien ausspielen zu lassen, damit sie aus ihnen lernen konnten. Eines Tages kam Boone in mein Zimmer, um großartig zu verkünden: „Meister hat eine Kommission einberufen. Er will, dass du und ich darin vertreten sind."
„Eine Kommission? Was will er von uns?"
„Wir sollen das Werk organisieren."
„Welche Aspekte daraus?"
„Alle Aspekte - alles!" Boone schwang seinen Arm mit ausholender Geste.
„Gut", sagte ich skeptisch, „wenn Meister meint. Aber ich weiß wirklich nicht viel über das Werk. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er von mir erwarten kann, bei dessen Organisation zu helfen!"
„Oh, du wirst nicht viel zu tun haben. Spring nur immer ein, wann immer wir dich darum bitten."
Es stellte sich heraus, dass ich wirklich nichts zu tun hatte. Ein paar Wochen lang trafen sich Mitglieder der Kommission zwanglos zu zweit oder zu dritt, um über alles zu reden, was nach ihrer Meinung geändert gehörte. Es gab viel Gerede, einige Beschwerden und wenig Aktion. Allmählich nahm die Kritik die dominierende Rolle ein. Das Hauptbüro, informierte mich Boone indigniert, behinderte die Arbeit der Kommission und dadurch natürlich auch Meisters Willen. Ich fühlte mich nicht kompetent, positive Vorschläge zu machen, teilte aber die Indikation meines Kommissionskollegen.
Eines Tages platzte Boone mit einem Wutausbruch in mein Zimmer. „Miss Sahly weigert sich völlig, den letzten Direktiven der Kommission zu gehorchen!"
Das war doch undenkbar! Ich sprang auf. „Wir müssen zu ihr gehen und mit ihr sprechen!" Zusammen eilten wir zum Hauptbüro. Ich erklärte Miss Sahly (jetzt Shradda Mata), dass sie sich durch ihre Ablehnung, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, gegen Meister stellte, da die Angelegenheit, um die es ging, eine Kommissionsentscheidung sei, die sie um der Wohlfahrt des Werkes willen unbedingt akzeptieren musste.
„Ihr jungen Hitzköpfe!" rief Meister aus, als er davon erfuhr. „Was denkt ihr euch, dort hineinzustürzen und auf diese Weise herumzubrüllen?" Er fuhr fort, mir derart über den Mund zu fahren, wie ich es noch bei niemand anderem erlebt hatte.
Ich war bestürzt. Im Glauben, tapfer für seine Sache das Schwert zu schwingen, musste ich schließlich herausfinden, dass ich auf der falschen Seite gekämpft hatte. Wie sich herausstellte, war Miss Sahly eine überaus geachtete Jüngerin mit langjähriger Erfahrung sowie Mitglied des Vorstandes. Darüber hinaus hatte Meister weder ihr noch sonst jemandem gesagt, dass unsere Kommission besondere Kompetenzen hätte.
Da ihm der Stoff über unsere Büroinvasion ausging, er sich aber weiterhin bei guter Stimme befand, begann Meister, sich mit der Kommission selbst zu beschäftigen. Er nannte sie „Nichtstuerei, negativ, eine komplette Farce". Die meisten der Mönche, die übrigen Kommissionsmitglieder eingeschlossen, waren zugegen. Meisters gesamte Tirade richtete sich jedoch gegen mich.
„Aber Meister", dachte ich, „ich nahm kaum an den Aktivitäten der Kommission teil!" Äußerlich schweigend konnte ich mir dennoch nicht entsagen, einen kleinen Unmut gegen das zu fühlen, was ich als unverdiente Demütigung ansah. Später reflektierte ich, wie sehr meine Reaktion bewies, dass ich der Zurechtweisung bedurfte.
„Sir", plädierte ich ernsthaft an jenem Abend, „bitte, scheltet mich öfter."
„Ich verstehe." Er sah mich gütig an. „Aber, was du brauchst, ist mehr Devotion."
Es stimmte. Wenn ich in die negativen Kritizismen meiner älteren Brüder einfiel, dann war ich gefallen - von dem, was mir als gutes Motiv erschien, in beurteilende Einstellungen, die stets der Liebe entgegenstehen.
Bald danach begab ich mich zu Meister. „Es tut mir leid, Sir", sagte ich. „Das ist der Weg!" lächelte Meister liebevoll. Damit war der Vorfall zwischen uns abgeschlossen.
Meister riet von Negativität selbst bei einem guten Zweck ab. Ein paar Jahre später versuchte ein gewisser Mann, das Werk in unseren Kirchen durch Tricks zu schädigen. Mr. Jacot, ein loyales und hingebungsvolles Mitglied, deckte die Machenschaften dieses Zeitgenossen auf und stellte ihn öffentlich an den Pranger. Meister drückte Mr. Jacot daraufhin seine Dankbarkeit dafür aus, dass er uns vor einer unangenehmen Situation bewahrt hatte. Nach seinem Dank jedoch wies er ihn behutsam wegen der Mittel zurecht, die er verwendet hatte. „Es ist nicht gut", sagte er, „durch Zorn und harte Worte falsche Schwingungen zu erzeugen, und dies unbeschadet der jeweiligen Absichten. Das Gute, das sie erreicht haben, wäre grösser noch gewesen, wenn sie friedliche Mittel angewendet hätten.
Einige Tage nach der Kommissionsepisode traf ich zum ersten Mal Daya Mata (damals Faye Wright), jetzt Präsidentin der SRF. Es war im Hauptbüro nach Arbeitsschluss. Eine jugendlich aussehende Frau mit faszinierender Gemütsruhe betrat den Raum. Ich fühlte in ihr einen tiefen Schwingungsgleichklang mit Meister. Als sie mich sah, hielt sie inne, dann sprach sie mich freundlich an.
„Du bist Donald, nicht wahr? Ich bin Faye. Ich habe von dir gehört." Sie lächelte. „Lieber Mann, das war ein ganz schöner Aufruhr, den ihr Jungs da mit eurer Kommission entfacht habt!"
Es war mir ziemlich peinlich. Was mich betraf, war die Kommission eine tote Angelegenheit. Da sie nicht wusste, wie ich zu der Sache stand, beschloss sie, mir zu besserem Verständnis zu verhelfen. Als wir uns unterhielten, dachte ich: „So, das ist also ein Beispiel für jene Jünger, die angeblich Meisters Wünsche hintergingen. Ich wäre tausendmal lieber so wie sie als wie irgendeiner jener Kritisierer!" Ihr gelassener Selbst-Besitz, ihr Entgegenkommen und die transparente Hingabe an Meister beeindruckten mich sehr. Von nun an, so beschloss ich, würde ich zu ihr aufblicken als mein Vorbild für jenen idealen Geist an Jüngerschaft, den ich zu erlangen trachtete.
„Wir müssen lernen, den Selbst-Willen aufzugeben, wenn wir Meister gefallen wollen. Und das", fügte sie signifikant hinzu, „ist es, was wir zu tun versuchen."
Einfache Lehre, einfach ausgedrückt! Aber in ihr klang Wahrheit. Während ich ihre Worte überlegte, dachte ich mir: „Worin lag der Nutzen, das zu erreichen, jenes zu organisieren, ja selbst die löblichste Arbeit zu verrichten, wenn Meister nicht zufrieden war? Denn seine Aufgabe war es, Gottes Willen für jeden von uns auszudrücken. Ihn zufriedenzustellen hieß ganz einfach, Gott zufriedenzustellen.
Lass andere die wichtigen, äußerlichen Dinge tun, beschloss ich. Für mich würde ab nun nur eines zählen: Meisters Willen zu tun, ihm zu gefallen.
Ironischerweise fiel kurz danach - beinahe als Antwort auf meinen Entschluss, im Hintergrund zu bleiben - Meisters Entschluss, mich für eine verantwortliche Stellung auszuwählen. Ich sollte mich um die Mönche auf Mt. Washington kümmern.
Mehrere Wochen vergingen. Dann stand ich eines Tages mit Herbert Freed, einem der Geistlichen, vor dem Eingang zum Kellergeschoss. Wir sprachen mit Meister, der soeben im Begriff war, sich auf eine Ausfahrt zu begeben. Herbert sollte diesen Nachmittag abreisen, um der Priester unserer Kirche in Phönix, Arizona, zu werden, und Meister gab ihm noch einige Instruktionen in letzter Minute. Nach einer Pause fuhr Meister leise fort:
„Du hast ein großes Werk zu vollbringen."
Ich blickte nach Herbert und lächelte ihm Glück zu.
„Du bist es Walter, den ich anspreche", korrigierte mich Meister. Augenblicke später fuhr der Wagen davon. Welche Art von Arbeit hatte er gemeint?
Von damals an wiederholte er diese Ankündigung öfters.
Was war dieses „große Werk?" Meisters Worte waren, zumindest im Hinblick auf ihren kummulativen Effekt, die nachdrücklichsten, die er je an mich richtete. Sie kehrten oft in meinen Geist zurück und verlangten nach Verstehen. „Sicherlich", dachte ich, „waren sie als Anweisung, nicht als Kompliment gemeint." Sie schienen den Zweck zu haben, mich mit einem Sinn für persönliche Verantwortlichkeit zu versehen, die einen bestimmten Aspekt seiner Mission betraf - und vielleicht auch, mich dazu zu bringen, Verantwortung nicht zu scheuen. Instinktiv fürchtete ich nämlich eine solche.
Einmal jedoch, als ich Meisters Bemühungen Widerstand leistete, mich in die Lehrtätigkeit einzubeziehen, war seine Reaktion brüsk.
„Für Gott leben", sagte er streng, „ist Märtyrertum!"
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Aus: "The Path" von Swami Kriyananda, direkter Jünger Paramahansa Yoganandas